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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart




I.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 1. Oktober 2024 - 2 Sa 14/24

Schlagworte/Normen:
Klage einer Arbeitnehmerin auf höheres Arbeitsentgelt nur in Höhe der Differenz der Mediane der männlichen und weiblichen Vergleichsgruppe vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich

Volltext PE:
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 1. Oktober 2024 (Aktenzeichen 2 Sa 14/24) der Angestellten eines im Großraum Stuttgart ansässigen Unternehmens die von ihr unter Berufung auf das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz eingeklagte höhere Vergütung für die Jahre 2018 bis 2022 teilweise zugesprochen.

In Teilen erfolgreich war die Klägerin, die im streitigen Zeitraum in hälftiger Teilzeit auf der dritten Führungsebene des Unternehmens tätig war, im Hinblick auf die Gehaltsbestandteile Grundgehalt, Company Bonus, Pension One-Kapitalbaustein sowie virtuelle Aktien nebst Dividendenäquivalente. Insgesamt wurden der Klägerin von den eingeklagten rund 420.000 EUR brutto ca. 130.000 EUR brutto für fünf Jahre zugesprochen. Das Arbeitsgericht hatte der Klage in erster Instanz noch in weiterem Umfang stattgegeben.

Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Hintergrund des EntgTranspG sind Bestimmungen aus dem Recht der Europäischen Union. Art. 157 Abs. 1 AEUV verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt, darunter insbesondere deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. e und Art. 4, werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 157 AEUV miterfasst. Deshalb sind § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unionsrechtskonform auszulegen. Zudem gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln.

Im hiesigen Fall lag das individuelle Entgelt der Klägerin sowohl unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe als auch unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe der dritten Führungsebene. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage primär die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Entgelt eines von ihr namentlich benannten männlichen Vergleichskollegen bzw. des weltweit bestbezahlten Kollegen der dritten Führungsebene, hilfsweise die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe.

Die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts sah nach tatrichterlicher Gesamtwürdigung aller Umstände vorliegend indes lediglich ein hinreichendes Indiz für eine geschlechtsbezogene Benachteiligung in Höhe der Differenz des männlichen zum weiblichen Medianentgelt. Art. 157 AEUV bzw. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG lassen danach nicht irgendein Indiz iSv. § 22 AGG für eine geschlechtsbedingte Vergütungsdiskriminierung ausreichen, um einen Anspruch auf den maximal denkbaren Differenzbetrag zu begründen. Vielmehr muss ein Indiz gerade für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung in einer ganz bestimmten Höhe bestehen. Da im vorliegenden Fall feststand, dass die Vergütung des zum Vergleich herangezogenen Kollegen oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe (anders als in BAG 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21) und die Vergütung der Klägerin zudem unterhalb des von der Beklagten konkret bezifferten Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe (anders als in BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19) lag, bestand keine hinreichende Kausalitätsvermutung dahingehend, dass die volle Differenz des individuellen Gehalts der Klägerin zum Gehalt des namentlich benannten männlichen Kollegen bzw. dem Median der männlichen Vergleichsgruppe auf einer geschlechtsbedingten Benachteiligung beruhte.

Einen Anspruch auf Anpassung "nach ganz oben" konnte die Klägerin nach Ansicht der 2. Kammer auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen (entgegen LAG Düsseldorf 20. April 2023 – 13 Sa 535/22). Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nach Ansicht der 2. Kammer bei Differenzierungen innerhalb der begünstigten Gruppe auf den Durchschnittswert gerichtet (im Anschluss an BAG 23. Februar 2011 – 5 AZR 84/10).

Vorliegend gelang es der Beklagten schließlich nicht, eine Rechtfertigung der danach verbleibenden Ungleichbehandlung etwa anhand der Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ oder „Arbeitsqualität“ konkret darzulegen.

Gegen das Urteil vom 1. Oktober 2024 hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache für beide Parteien zugelassen.

Siehe:
https://landesarbeitsgericht-baden-wuerttemberg.justiz-bw.de/pb/site/pbs-bw-rebrush-jum/get/documents_E-1402331130/jum1/JuM/import/landesarbeitsgericht%20baden-w%C3%BCrttemberg/Pressemitteilungen/2024/MM%202024_01_10%20zu%202Sa%2014-24%20_.pdf

II.
Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 1. Oktober 2024 – 9 AZR 264/23 (A)

Schlagworte/Normen:
Überlassungshöchstdauer - Betriebsübergang auf Entleiherseite

Volltext PE:
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet, um zu klären, wie die in § 1 Abs. 1b Satz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelte Überlassungshöchstdauer unionsrechtskonform zu berechnen ist, wenn auf Entleiherseite ein Betriebsübergang stattgefunden hat.

Die Beklagte gehört einer Unternehmensgruppe an, die u.a. Sanitärarmaturen herstellt. Als Unternehmen für Logistik unterhält die Beklagte am Ort der Produktionsstätte einen Betrieb, in dem die Produkte verpackt, gelagert und für den Transport vorbereitet werden. Die vormals von dem Produktionsunternehmen als Betriebsteil selbst geführte Logistik ist zum 1. Juli 2018 auf die Beklagte übergegangen.

Der Kläger war in der Logistik durchgängig vom 16. Juni 2017 bis zum 6. April 2022 als Leiharbeitnehmer mit der Kommissionierung von Produkten betraut. Bis zu dem Betriebsteilübergang auf die Beklagte am 1. Juli 2018 war Entleiherin das Produktionsunternehmen. Die Beklagte ist ebenso wie das Produktionsunternehmen Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie NRW eV.

§ 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG bestimmt, dass der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate „demselben Entleiher“ überlassen darf, wobei durch oder aufgrund Tarifvertrags der Einsatzbranche gemäß § 1 Abs. 1b AÜG eine vom Gesetz abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden kann.
Der Kläger hat geltend gemacht, zwischen den Parteien sei zum 16. Dezember 2018 wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Das Produktionsunternehmen als Betriebsveräußerer und die Beklagte als Betriebserwerberin seien im Sinne des Gesetzes als derselbe Entleiher anzusehen. Die Beklagte vertritt die gegenteilige Auffassung. Im Fall eines Übergangs des Einsatzbetriebs auf einen anderen Inhaber beginne die Überlassungshöchstdauer neu zu laufen. Dies gelte auch dann, wenn der Leiharbeitnehmer nach dem Übergang des Betriebs unverändert auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt werde. Die Beklagte beruft sich außerdem darauf, dass die gesetzlich zulässige Überlassungshöchstdauer aufgrund Tarifvertrags durch Betriebsvereinbarungen auf zuletzt 48 Monate verlängert worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und u.a. festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 16. Juni 2021 ein Arbeitsverhältnis besteht. Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Beklagte Revision eingelegt.

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH nach Art. 267 AEUV zur Klärung von Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2008/104/EG ersucht.. Der Senat hält es für klärungsbedürftig, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei der Berechnung der Überlassungsdauer im Fall eines Betriebsübergangs Veräußerer und Erwerber als ein „entleihendes Unternehmen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie anzusehen sind. Davon hängt es ab, ob das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten 18 Monate nach der Überlassung des Klägers zum 16. Dezember 2018 oder erst 18 Monate nach dem Betriebsteilübergang zum 1. Januar 2020 zustande gekommen ist.

Auf die abweichend vom Gesetz nach dem Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens zulässige Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten konnte sich die Beklagte nicht berufen. Sie unterhält keinen Hilfs- oder Nebenbetrieb, der dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrags unterliegt. Die dort anfallenden Logistiktätigkeiten sind nicht Teil des Fertigungsprozesses.

Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/ueberlassungshoechstdauer-betriebsuebergang-auf-entleiherseite/

III.
Arbeitsgericht Solingen
Urteil vom 1. Oktober 2024 - 3 Ca 728/24–

Schlagworte/Normen:
Unwirksamkeit der Befristung eines Vertrages eines Handballtrainers aufgrund einer sogenannten "Ligaklausel"

Volltext PE:
Das Arbeitsgericht Solingen hat heute der Klage des ehemaligen Trainers des Bergischen Handball Clubs 06 e. V. (im Folgenden: „BHC 06“ genannt) in vollem Umfang stattgegeben.

Der Kläger ist seit Juli 2022 bei der Beklagten, der BHC Marketing GmbH, als Trainer der 1. Handballmannschaft der Herren des BHC 06 beschäftigt. Der BHC06 spielte in der Spielzeit 2023/2024 in der 1. Handball-Bundesliga und stieg sodann in die 2. Handball-Bundesliga ab. Der Kläger war bereits seit April 2024 freigestellt. Im Juni 2024 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Vertrag aufgrund des Abstiegs des BHC 06 in die 2. Handball-Bundesliga zum 30.06.2024 ende. Hiergegen wendete sich der Kläger und machte das Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses sowie weitere Zahlungsansprüche geltend.

Die Kammer hat entschieden, dass die auflösende Bedingung in dem Arbeitsvertrag des Handballtrainers, wonach der Vertrag ausschließlich für „den Bereich der 1. Handballbundesliga“ gelten und der Arbeitsvertrag bei Abstieg oder Lizenzverlust/-rückgabe enden soll, unwirksam ist. Die Klausel ist bereits wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam. Ihr ist nicht zu entnehmen, zu welchem Enddatum der Arbeitsvertrag „bei Abstieg“ gelten soll und der „Bereich der 1. Handballbundesliga“ verlassen wird. Hinzu kommt, dass aufgrund der Vermischung der Bedingung „Abstieg“ mit der (unwirksamen) Bedingung „Lizenzverlust/-rückgabe“ der Bedingungseintritt intransparent und im Zweifelsfall nicht eindeutig bestimmbar ist.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingelegt werden.

Siehe:
https://www.justiz.nrw/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/Nr_14_24/index.php

IV.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.09.2024, Az.: 14 Sa 348/23

Schlagworte/Normen:
Vergütungspflicht der Arbeitgeberin für angeblich von einer Mitarbeiterin in der ambulanten Pflege aufgewendete Zeiten zur häuslichen Durchführung von Corona-Tests

Leitsatz:
1. Die Zeiten für die Durchführung von Corona-Selbsttests durch den Arbeitnehmer eines ambulanten Pflegedienstes sind nicht als vergütungsfähige Arbeitszeiten nach dem § 611a Abs. 2 BGB anzusehen.
2. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer beim Corona-Selbsttest nicht aufgrund seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts Tätigkeiten abverlangt, die als "Arbeit" anzusehen sind, sondern er ist staatlichen Vorgaben gefolgt.

Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/b52d5b5a-a8e1-4b9c-9d49-ed4f2d981b43

V.
Oberverwaltungsgericht NRW
Urteile vom 30.09.2024 - 6 A 856/23 und 6 A 857/23 – veröffentlicht am 18.10.2024

Schlagworte/Normen:
Mülheimer Feuerwehrleute erhalten Entschädigung für Bereitschaftsdienst

Volltext PE:
Bei der Stadt Mülheim an der Ruhr beschäftigte Feuerwehrleute erhalten Entschädigung für geleistete Alarmbereitschaftszeiten, soweit diese über die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden hinausgingen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht durch (heute den Beteiligten bekanntgegebene) Urteile vom 30.09.2024 in zwei als Musterprozesse geführten Verfahren entschieden.

In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Entschädigungsklagen der Feuerwehrleute noch abgewiesen.

Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt:

Die von den Klägern im sogenannten Direktions- bzw. Hintergrunddienst geleisteten Alarmbereitschaftszeiten sind in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne der europarechtlichen Vorgaben einzustufen. Die Alarmbereitschaftszeiten werden als 24-Stunden-Dienste geleistet. Den Feuerwehrleuten wird dabei kein bestimmter Aufenthaltsort vorgegeben, sie dürfen sich aber nur in einem Radius von 12 km um die in Mülheim an der Ruhr gelegene Schlossbrücke bewegen und müssen im Alarmierungsfall „sofort“ mit dem zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeug ausrücken. Dabei ist unter „sofort“ die in der Alarm- und Ausrückordnung als Ausrückzeit angegebene Zeitspanne von maximal 90 Sekunden zu verstehen. Die Einstufung als Arbeitszeit begründet sich im Wesentlichen aus den gravierenden Einschränkungen für die Zeitgestaltung der Kläger während der Dienste, die aus dieser kurzen Reaktionszeit resultieren. Durch die Einstufung der Alarmbereitschaftszeiten als Arbeitszeit überstieg die Arbeitszeit der Kläger in den streitgegenständlichen Zeiträumen (September 2013 bis Oktober 2023 bzw. Februar 2019 bis Ende 2023) regelmäßig die zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Im Umfang dieser Überschreitung steht den Klägern ein Entschädigungsanspruch zu. Der zunächst auf die Gewährung von Freizeitausgleich gerichtete Anspruch hat sich in einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung umgewandelt, da die Gewährung von Freizeitausgleich nach Angaben der beklagten Stadt unmöglich ist. Die Entschädigung berechnet sich nach den Stundensätzen der Mehrarbeitsvergütungsverordnung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Siehe:
https://www.justiz.nrw/JM/Presse/presse_weitere/PresseOVG/54_241018/index.php

VI.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 23. Oktober 2024 – 5 AZR 82/24

Schlagworte/Normen:

Außertariflicher Angestellter - Vergütungsabstand zur höchsten tariflichen Vergütung

Volltext PE:
Definieren Tarifvertragsparteien als außertariflich diejenigen Angestellten, deren geldwerte materielle Arbeitsbedingungen diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe überschreiten, ohne einen bestimmten prozentualen Abstand festzusetzen, genügt für Status und Vergütung des außertariflichen Angestellten jedes – auch nur geringfügige – Überschreiten.

Der Kläger ist Mitglied der IG Metall und seit 2013 bei der Beklagten als Entwicklungsingenieur beschäftigt, seit Juni 2022 auf der Grundlage eines als „außertariflich“ bezeichneten Arbeitsvertrags. Im Streitzeitraum Juni 2022 bis Februar 2023 erhielt er eine monatliche Bruttovergütung von 8.212,00 Euro, während das Entgelt in der höchsten tariflichen Entgeltgruppe – hochgerechnet auf 40 Wochenstunden – 8.210,64 Euro brutto betrug. Im Betrieb der Beklagten finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens Anwendung, von deren persönlichem Geltungsbereich u.a. Beschäftigte ausgenommen sind, deren „geldwerte materielle Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden in einer Gesamtschau diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten“.

Mit seiner Klage hat der Kläger eine höhere Vergütung beansprucht und herzuleiten versucht, dass ein solches „Überschreiten“ in Anbetracht der prozentualen Abstände zwischen den tariflichen Entgeltgruppen nur angenommen werden könne, wenn das Monatsgehalt des außertariflichen Angestellten 23,45 % über demjenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe liege. Dies ergebe bei ihm ein Bruttomonatsgehalt von 10.136,03 Euro, so dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm für die Monate Juni 2022 bis Februar 2023 insgesamt 17.326,27 Euro brutto als weitere Vergütung nachzuzahlen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Vorinstanzen bestätigt und die Revision des Klägers zurückgewiesen. Der Status als außertariflicher Angestellter begründet einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf eine Vergütung, die einen tarifvertraglich vorgeschriebenen Abstand zur höchsten tariflichen Vergütung wahrt. Die im Streitfall einschlägigen tariflichen Bestimmungen verlangen, dass die geldwerten materiellen Arbeitsbedingungen diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten. Das ist beim Kläger der Fall, denn mangels abweichender Festlegungen der Tarifvertragsparteien genügt nach dem eindeutigen Tarifwortlaut jedes – und damit auch ein geringfügiges – Überschreiten des höchsten tariflichen Entgelts. Angesichts dessen verbietet sich eine ergänzende Tarifauslegung wie sie dem Kläger vorschwebt. Wollen die Tarifvertragsparteien einen bestimmten prozentualen Abstand zwischen dem höchsten Tarifentgelt und dem Entgelt außertariflicher Beschäftigter, müssen sie eine entsprechende tarifliche Abstandsklausel hinreichend klar und deutlich in den Tarifvertrag aufnehmen. Die von Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Tarifautonomie verbietet ein „Nachbessern“ tariflicher Bestimmungen durch die Gerichte zugunsten der einen oder anderen Seite.

Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/aussertariflicher-angestellter-verguetungsabstand-zur-hoechsten-tariflichen-verguetung/

VII.
Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 23. Oktober 2024 – 7 ABR 34/23

Schlagworte/Normen:
Betriebsratswahl - Anfechtung - Briefwahl wegen Homeoffice und Kurzarbeit

Volltext PE:
Für die Wahl des Betriebsrats kann der Wahlvorstand denjenigen Arbeitnehmern, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl wegen vorübergehender mobiler Arbeit oder wegen Kurzarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe ohne einen entsprechenden Antrag übersenden.

Die Arbeitgeberin produziert an mehreren Standorten Kraftfahrzeuge. Im Frühjahr 2022 fand in ihrem Werk in Wolfsburg turnusgemäß die Betriebsratswahl statt. Bei Bekanntmachung des Wahlausschreibens im November 2021 galt für den Verwaltungsbereich infolge der Covid-19-Pandemie eine „bis auf Weiteres“ befristete betriebliche Anordnung, so weit wie möglich mobile Arbeit (Homeoffice) zu nutzen. Ausgenommen waren Beschäftigte, deren Tätigkeit eine Anwesenheit im Betrieb erforderte. Im Januar 2022 verlängerte die Arbeitgeberin ihre Anweisung; betroffen war auch der für die Wahl festgelegte Zeitraum vom 14. bis 18. März 2022. Daraufhin übersandte der Wahlvorstand an ca. 26.000 in der Verwaltung tätige Arbeitnehmer unaufgefordert Briefwahlunterlagen. Ab Mitte Februar 2022 kam es im Werk außerdem zu Kurzarbeit infolge von Produktionsausfällen. Deswegen beschloss der Wahlvorstand, alle ihm von der Arbeitgeberin gemeldeten und im Wahlzeitpunkt wegen der Kurzarbeit betriebsabwesenden Arbeitnehmer der schriftlichen Stimmabgabe zuzuordnen. Entsprechend erhielten ca. 33.000 Produktionsmitarbeiter Briefwahlunterlagen zugesandt. An der Betriebsratswahl beteiligten sich 39.498 Wahlberechtigte, davon etwa 35.000 im Wege der schriftlichen Stimmabgabe.

Mit dem von ihnen eingeleiteten Verfahren haben mehrere wahlberechtigte Arbeitnehmer die Betriebsratswahl angefochten. Sie haben – unter anderem im Zusammenhang mit der schriftlichen Stimmabgabe – verschiedene Verstöße gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und der Ersten Verordnung zu dessen Durchführung (Wahlordnung) gerügt. Die Versendung von Briefwahlunterlagen an alle Arbeitnehmer im Homeoffice und in Kurzarbeit haben sie als unvereinbar mit der Wahlordnung angesehen. Das Arbeitsgericht hat die Wahl antragsgemäß für unwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde hatten die Antragsteller Erfolg. Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Die Fälle einer zulässigen Briefwahl sind in der Wahlordnung (WO) abschließend geregelt. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO erhalten die Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe – ohne dies zu verlangen – diejenigen Wahlberechtigten, von denen dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht im Betrieb anwesend sein werden. Hierunter fallen Arbeitnehmer, die während der Wahl wegen vorübergehend ausgeübter mobiler Arbeit und wegen Kurzarbeit betriebsabwesend sind. Allerdings kann auf der Grundlage der bisher festgestellten Tatsachen nicht beurteilt werden, ob der Wahlvorstand – insoweit unter Verstoß gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO – die Briefwahlunterlagen auch an zur mobilen Arbeit berechtigte Arbeitnehmer übersandt hat, von denen er wusste, dass sie im Wahlzeitraum wegen Unabkömmlichkeit ihre Tätigkeit im Betrieb verrichten. Hierzu ist eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch das Landesarbeitsgericht notwendig. Zu den sonstigen von den Antragstellern beanstandeten Wahlfehlern hat der Senat abschließend befunden, dass sie die Anfechtung der Betriebsratswahl nicht begründen.

Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/betriebsratswahl-anfechtung-briefwahl-wegen-homeoffice-und-kurzarbeit/

VIII.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 6.08.2024 – 21 TaBV 7/24

Schlagworte/Normen:
Einsetzung einer Einigungsstelle - Desk Sharing - Clean Desk Policy - Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich Einbringung privater Gegenstände - Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Doppelwidmung von Betriebsflächen sowohl zu Arbeits- als auch zu Pausenzwecken

Leitsatz:
1. Die Einführung von Desk Sharing ist ebenso wie die Einführung einer Clean Desk Policy nicht als Ganzes mitbestimmungspflichtig.

2. Vorgaben des Arbeitgebers zur Einbringung persönlicher Gegenstände der Arbeitnehmer, insbesondere zur Aufbewahrung solcher Gegenstände vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende, können die Ordnung des Betriebs betreffen und infolgedessen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Dies gilt auch, wenn solche Vorgaben Teil eines vom Arbeitgeber angeordneten Konzepts zum Desk Sharing und/oder einer von ihm vorgegebenen Clean Desk Policy sind.

3. Eine Doppelwidmung derselben Betriebsfläche sowohl zu Arbeits- als auch zu Pausenzwecken ("überlagernde Nutzung" ) kann die Ordnung des Betriebs betreffen und infolgedessen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.

Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001584724

IX.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 7.08.2024 – 8 Sa 18/24

Schlagworte/Normen:
Freigestelltes Betriebsratsmitglied - Betriebsratsvergütung - Vergütung des freigestellten Betriebsratsmitglieds - Hypothetische Karriereentwicklung - Darlegungs- und Beweislast - Begünstigung - Benachteiligung - berufliche Entwicklung - Während der Betriebsratstätigkeit erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten

Leitsatz:
1. Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. §37 Abs.4 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers.

2. Derjenige, der sich auf einen Verstoß gegen das Verbotsgesetz des §78 Satz 2 BetrVG beruft, muss diesen beweisen.

3. Das Betriebsratsmitglied trägt die Darlegungs- und Beweislast für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Betriebsratsamts, wenn es einen Anspruch auf eine höhere Vergütung auf § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG stützt.

4. Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG, wenn er gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltend macht, eine in der Vergangenheit zugesagte und gezahlte Vergütung begünstige das Betriebsratsmitglied unzulässig. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Sachverhalt darlegen, der den Schluss auf einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot ermöglicht.

5. Zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit während der Betriebsratstätigkeit erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten bei der beruflichen Entwicklung des Betriebsratsmitglieds.

Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001587045

X.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 14.08.2024 – 10 Sa 4/24 –
(Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 10 AZR 240/24)

Schlagworte/Normen:
Inflationsausgleichsprämie - Langzeiterkrankung – Gleichbehandlung

Leitsatz:
1. Eine Inflationsausgleichsprämie kann als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung ausgestaltet werden. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz steht einer solchen Gruppenbildung nicht entgegen.

2. §3 Nr. 11c EStG steht einer arbeitsleistungsbezogenen Ausgestaltung der Inflationsausgleichsprämie ebenfalls nicht entgegen.

Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001588406

XI.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 26.08.2024 – 4 Sa 1/24 -
(Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 4 AZR 267/24)

Schlagworte/Normen:
Bezugnahme auf mehrere Tarifverträge - Bestimmbarkeit - ergänzende Vertragsauslegung

Leitsatz:
1. Der Inhalt einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, die auf mehrere Tarifwerke unterschiedlicher Tarifvertragsparteien verweist, ist hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar, wenn und solange die in Bezug genommenen Tarifwerke identisch sind.

2. Ab dem Zeitpunkt, zu dem die in Bezug genommenen Tarifwerke nicht mehr identisch sind, ist der Inhalt der Bezugnahme nicht mehr hinreichend bestimmbar, wenn die Bezugnahmeklausel keine Kollisionsregelung enthält. Folge der Unbestimmbarkeit ist, dass die Tarifwerke nur noch statisch weitergelten mit einem Tarifstand, wie er bestand, als die Tarifwerke zuletzt noch identisch waren.

3. Enthält die Bezugnahmeklausel keine ausdrückliche Kollisionsregelung, ist zu prüfen, ob eine solche im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt werden kann. Anhaltspunkt für einen hypothetischen Willen der Vertragsparteien kann sein, dass der Arbeitgeber nur an einen der beiden in Bezug genommenen Tarifverträge kraft Verbandszugehörigkeit gebunden war und die Bezugnahmeklausel in einem "Altvertrag" als Gleichstellungsabrede auszulegen war.

Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001587291

XII.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 11.09.2024 – 4 Sa 10/24
anhängig BAG, kein Datum verfügbar, 5 AZR 273/24

Schlagworte/Normen:
Annahmeverzug - böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Leitsatz:
1. Klagt der Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Entlassung auf Zahlung von Annahmeverzugsentgelt, muss er sich gemäß § 11 Nr. 2 KSchG das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Von der demnach erforderlichen Kausalität eines böswilligen Unterlassens für einen entgangenen anderweitigen Verdienst kann nur ausgegangen werden, wenn dem Arbeitnehmer die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bekannt war bzw. bekannt gemacht wurde.

2. Im entsprechenden Rechtsstreit trägt der Arbeitgeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer eine zumutbare Tätigkeit gefunden hätte und dass er diese konkrete Tätigkeitsmöglichkeit nicht wahrgenommen hat. Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bereits während des Annahmeverzugszeitraums konkrete Stellenangebote unterbreitet, obliegt es im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, so konkret wie möglich hierzu vorzutragen.

3. Eine Darlegungslast des Arbeitnehmers kann aber nicht ausgelöst werden, wenn der Arbeitgeber erst nach dem Ende des Verzugszeitraums ermittelte Stellenangebote vorträgt, die auf dem Internetportal "Jobbörse" der Agentur für Arbeit gestanden haben sollen und die dem Arbeitnehmer im Verzugszeitraum noch unbekannt waren. Eine solche erweiterte Darlegungslast des Arbeitnehmers kann auch nicht über den Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung begründet werden (Abweichung von BAG 7. Februar 2024 - 5 AZR 177/23).

Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001588329

Mit besten Grüßen
Ihr

Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident
VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V.
Gerokstr. 8 70188 Stuttgart
Telefon: (0711) 3058 9320Telefax: (0711) 3058 9311
Email: info@vdaa.dewww.vdaa.de

 
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