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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 24. April 2024 –7 ABR 26/23
Schlagworte/Normen:
Betriebsratswahl - Weniger Kandidaten als Betriebsratssitze
Volltext PE:
Bewerben sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmer um einen Betriebsratssitz als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, kann ein „kleinerer“ Betriebsrat errichtet werden.
Die Arbeitgeberin ist Trägerin einer Klinik mit in der Regel 170 beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Bei dieser Betriebsgröße sieht die Staffelung von § 9 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)* einen aus sieben Mitgliedern bestehenden Betriebsrat vor. Bei der im Frühjahr 2022 eingeleiteten Betriebsratswahl kandidierten nur drei Arbeitnehmerinnen und es wurde ein Betriebsrat mit drei Mitgliedern gewählt. Die Arbeitgeberin hat diese Wahl für nichtig gehalten und beim Arbeitsgericht eine entsprechende Feststellung begehrt. Dem haben die Vorinstanzen nicht entsprochen und die Betriebsratswahl für wirksam erachtet.
Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Es steht der Wahl eines Betriebsrats nicht entgegen, wenn sich nicht genügend Bewerber für das Betriebsratsamt finden. Das folgt vor allem aus dem in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgedrückten Willen des Gesetzgebers, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Bei der Betriebsratsgröße ist in der Konstellation von weniger Kandidaten als zu besetzenden Betriebsratssitzen auf die (jeweils) nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG so lange zurückzugehen, bis die Zahl von Bewerbern für die Errichtung eines Gremiums mit einer ungeraden Anzahl an Mitgliedern ausreicht.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/betriebsratswahl-weniger-kandidaten-als-betriebsratssitze/
II.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 19.03.2024 – 21 Sa 11/24
Schlagworte/Normen:
Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung - Weiterbeschäftigungsanspruch - Auflösungsantrag - nicht zu ersetzender Nachteil - nachträglich entstandene Einwendung
Leitsatz:
Die Zwangsvollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs kann nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. §§ 707, 719 ZPO nur vorläufig eingestellt werden, wenn die Vollstreckung dem Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil i.S.v. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bringen würde. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte erstmalig im Berufungsverfahren einen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 KSchG stellt. § 769 ZPO ist nicht entsprechend anzuwenden und § 62 Abs.1 Satz 3 ArbGG einschränkend auszulegen (Anschluss an LAG Baden-Württemberg 14. Dezember 2017 - 17 Sa 84/17; a.A. LAG Düsseldorf 25. Februar 2022 - 4 Sa 37/22 -).
Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001572617
III.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil vom 20.12.2023 – 4 Sa 913/22
Schlagworte/Normen:
Art. 33 Abs. 2 GG
§ 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG
Leitsatz:
1. Art. 33 Abs.2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Der Grundsatz der Bestenauslese wird durch Art. 33 Abs.2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet. Daher können Belange, die nicht im Leistungsgrundsatz verankert sind, bei der Besetzung öffentlicher Ämter nur Berücksichtigung finden, wenn ihnen ebenfalls Verfassungsrang eingeräumt ist (vgl. BVerfG 2. Oktober 2007 2 BvR 2457/04 Rn. 10).
2.Dem Schutzbereich des Art. 33 Abs. 2 GG ist ein davon abzugrenzender Bereich der allein öffentlichen Interessen dienenden Organisationshoheit des öffentlichen Arbeitgebers vorgelagert. Diese Organisationshoheit ist mit einem weiten Gestaltungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielraum verbunden (vgl. BVerwG 10. Dezember 2020 - 2 A 2/20 - Rn. 13).
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/66a9787d-be5d-4436-b740-525321650772
IV.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil vom 16.01.2024 – 9 Sa 575/23
Schlagworte/Normen:
BetrVG § 88
BGB § 126 b
BGB § 130
GewO § 108
Leitsatz:
1.Eine Entgeltanrechnung gem. § 108 Abs. 1 S. 1 GewO kann auch in Textform nach § 126 b BGB erteilt werden.
2.Eine in Textform erteilte Entgeltabrechnung geht dem Arbeitnehmer aber nur dann im digitalen Mitarbeiterpostfach im Sinne von § 130 BGB zu, wenn er hierzu sein Einverständnis gegeben hat. Andernfalls muss er nicht damit rechnen, dass ihm Entgeltabrechnungen auf digitalem Weg übermittelt werden.
3.Die fehlende Einwilligung kann mangels Mitbestimmungsrecht nicht durch eine
(Konzern-)Betriebsvereinbarung ersetzt werden.
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/3bd90e08-4559-4154-b939-8e2dbe3d7242
V.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil vom 14.02.2024, Az.: 6 Sa 559/23
Schlagworte/Normen:
BetrVG § 37 Abs. 4
BetrVG § 78 Satz 2
BGB § 611 a Abs. 2
Leitsatz:
1. Die Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 - 6 StR 133/22 - steht dem Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes aus § 611 a Abs.2 BGB i.V.M. § 78 Satz 2 BetrVG nicht entgegen.
2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne seine Freistellung erfolgreich gewesen wäre, trägt das anspruchsstellende Betriebsratsmitglied. Dabei muss das Gericht gemäß § 286 ZPO davon überzeugt sein, dass das Betriebsratsmitglied ohne Mandatsträgerschaft die Beförderungsposition übertragen bekommen und übernommen hätte (BAG, 22.01.2022 - 7 AZR 222/19).
3. Dass der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied regelmäßig die Anpassungsentscheidung einer in seinem Betrieb gebildeten Kommission zur Betriebsratsvergütung mitgeteilt und dementsprechend tatsächlich Vergütung geleistet hat, begründet weder eine vertragliche Vereinbarung der Parteien über die Vergütung noch folgt daraus, dass dann, wenn der Arbeitgeber die mitgeteilte Vergütung im Nachhinein für zu hoch hält, er hierfür nach den Grundsätzen der korrigierenden Rückgruppierung darlegungs- und beweispflichtig wäre.
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/07331a77-9afc-40a2-8281-048407a259d9
VI.
Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 9.01.2024, Az.: 10 GLa 15/24
Schlagworte/Normen:
Art. 9 Abs. 3 GG, §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB, § 97 ArbGG, §286 ZPO
Leitsatz:
1. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren, mit dem ein Arbeitgeber die Untersagung eines Streiks der Gewerkschaft begehrt, gilt nicht von vornherein eine beschränkte Kontrolle des Gerichts auf eine „offensichtliche“ Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes.
2. Macht ein Arbeitgeber geltend, der Gewerkschaft fehle die Tariffähigkeit, so kann diesem Einwand in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der vorrangigen Regelung in § 97 ArbGG lediglich dann entsprochen werden, wenn die fehlende Tariffähigkeit offenkundig ist und der Gewerkschaft „auf der Stirn geschrieben steht“.
3. Im Fall wurde bei einer summarischen Prüfung eine fehlende Tariffähigkeit der B infolge mangelnder Gegnerabhängigkeit im Hinblick auf personelle und organisatorische Verflechtungen mit der C verneint.
4. Es erscheint fraglich, ob bei einer - unterstellten - Gegnerunabhängigkeit gegenüber einem einzelnen Arbeitgeber die Tariffähigkeit der Gewerkschaft gegenüber sonstigen Dritten und damit insgesamt in Frage gestellt werden kann.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE240000244
VII.
Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 9.02.2024, Az.: 10 Sa 945/21 SK
Schlagworte/Normen:
§ 67 ArbGG, § 356 ZPO, § 1 VTV-Bau, § 531 ZPO
Leitsatz:
1. Das Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht ist vom Gesetzgeber im Wesentlichen als „echte zweite Tatsacheninstanz“ ausgestaltet worden. Die Regelungen in § 67 Abs. 2 bis 4 ArbGG, die lex specialis gegenüber § 531 ZPO sind, setzen voraus, dass bei Zulassung des neuen Vorbringens der Rechtsstreit verzögert würde; dies ist praktisch nur sehr selten der Fall.
2. Selbst das grob fahrlässige oder das bewusste Zurückhalten von Beweismitteln trotz eines gerichtlichen Hinweises in der ersten Instanz hindert ein Nachschieben des Beweismittels in der Berufungsinstanz grundsätzlich nicht. Anders als im Zivilprozess ist nach dem ArbGG somit prinzipiell auch eine „Flucht in die Berufung“ zulässig.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE240000462
VIII.
Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 1.03.2024, Az.: 10 Sa 702/23 SK
Schlagworte/Normen:
§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 41 VTV
Leitsatz:
1. Nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 41 VTV werden von dem VTV-Bau Wasserwerksbauarbeiten, Wasserhaltungsarbeiten und Wasserbauarbeiten erfasst. Unter Wasserbauarbeiten werden bauliche Maßnahmen für die Ziele der Wasserwirtschaft erfasst. Dies können auch Ziele des Umweltschutzes wie die Flussregulierung, die Wildbachverbauung sowie der Küsten- und Inselschutz sein.
2. Dabei ist es nicht erforderlich, dass Arbeiten an einer künstlich erschaffenen baulichen Anlage erbracht werden. Es reicht aus, dass Arbeiten an einem „Erdbauwerk“ erbracht werden.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE240000487
Neu eingestellte Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein:
EinstelldatumAktenzeichenGerichtSchlagworteDatei
23/04/20241 Sa 168/23LAG Schleswig-HolsteinUrlaub, Urlaubsgewährung, Freistellung, unwiderrufliche Freistellung, Festlegung durch Arbeitnehmer, Auslegung, UrlaubszeitraumUrteil-1-Sa-168-23-26-03-2024.pdf (274.2 KB)
Mit besten Grüßen
Ihr
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident
VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V.
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